Tibet – Oktober 2019
Schlimmer konnte unser Tibet-Abenteuer nicht beginnen: Schon kurz vor dem 5.231 Meter hohen Tanggula-Paß geht bei mir, Wolfgang, nichts mehr. Der hintere Reifen ist platt. Also rauf mit dem Ersatzrad. In 5.000 Metern Höhe ein klammes Erlebnis. Und Christians Zähne klappern mitunter, denn der Wind pfeift eiskalt. Um uns herum liegt frischer Schnee. Noch schlimmer aber: Wir verlieren wertvolle Zeit. Denn heute haben wir insgesamt rund 350 Kilometer vor uns. Auf einer Straße, die alles andere als leicht zu befahren ist. Furchen und Gräben im oft nicht vorhandenen Asphalt. Bis zu einem halben Meter tief. Unglaublich, daß es das überhaupt gibt. Und dazu extrem starker LKW-Verkehr, der sich dahinquält.
Dieser Verkehr mit überalteten LKW in durchgehenden Höhen über 4.500 Metern wird uns kurz vor der eigentlichen Paßhöhe, die heute die Grenze der „Autonomen Region Tibet“ bildet (Früher war Tibet deutlich größer!), auch zum Verhängnis. Vielen LKWs gefriert der Diesel in ihren Tanks, manche fackeln einfach alte Reifen direkt unter den Tanks ihrer LKW ab, um wieder flott zu werden. Aber der Stau ist gewaltig. Zumindest zwanzig Kilometer. Und obwohl wir uns meist irgendwie durchschlängeln, geht nicht viel weiter. Manchmal stehen vier LKW auf einer Straße nebeneinander, die eigentlich nur Platz für eine Spur pro Richtung hat. Da ist lange kein Durchkommen möglich.
Als wir endlich die Paßhöhe erreichen, ist es sechs Uhr am frühen Abend. Die Sonne geht gleich unter. Und wir haben das vor uns, was wir nie tun wollten: In der Nacht fahren. Dazu sind die Straßen zu rumpelig und viel zu gefährlich. Aber es sind noch über einhundert Kilometer bis zur nächsten Siedlung. Da wartet ein bescheidenes Hotel auf uns. Die Temperatur fällt auf neun Grad unter Null. Stockdunkle Nacht. Plötzlich ein Kracher, meine Vespa zieht nach links über die Straßenmitte hinaus. Im letzten Moment kann ich sie abfangen. Gleich ist klar, was los ist: Mein Anhänger ist entzweigebrochen. Nur mehr das Stromkabel stellt die Verbindung her.
Wir kappen das Stromkabel um den Hauptteil des gebrochenen Anhängers freizuzbekommen und wärmen uns die Hände an den Scheinwerfern unserer Vespas. Dann stoppen wir den ersten LKW, der vorbeikommt (Nach fast einer Stunde) und verladen den gebrochenen Anhänger auf der Ladefläche. Die letzten vierzig Kilometer fahren wir durch die Nacht hinter den schwach glimmenden Rücklichtern des LKW her. Um 23.00 Uhr erreichen wir dann endlich Amdo. Völlig durchgefroren, müde und erledigt. Im pompösen Guesthouse dann die Erkenntnis: Es gibt kein warmes Wasser, es gibt auch keine Heizung. Nicht, daß sie nicht funktioniert, sie ist erst gar nicht eingebaut.
So hat also Tibet begonnen. Aber die nächsten drei Wochen sollten uns für diesen ersten Eindruck entschädigen. Unglaublich herzliche und freundliche Menschen. Durchaus selbstbewußt und stolz auf ihr Land. Wir sitzen oft mit ihnen gemeinsam beim Tee und plaudern (Dank unserem tibetischen Begleiter kein Problem) über ihr Leben und ihre Hoffnung auf Freiheit. Und nicht selten geschieht es, daß bei der Erwähnung des Wortes „Dalai Lama“ sich natürliche Ehrfurcht im Raum verbreitet.
Lhasa begeistert uns. Eine Stadt, wie es sie auf der Welt kein zweitesmal gibt. Das ist Atmosphäre und tibetisches Leben. Und mittendrin der Palast des Dalai Lama. Sein Amtssitz und auch gleichzeitig sein Wohnort. Wir bleiben fünf Stunden in diesem Labyrinth aus Gängen, Heiligtümern und Wohnräumen. Mittendrin tibetische Mönche die beten – und dabei nicht vergessen, gelegentlich ihr Smartphone zu checken.
Über all dem liegt die großartige Landschaft, das „Dach der Welt“ läßt wohl niemanden trotz der jetzt im Oktober schon oft bitterkalten Temperaturen kalt. Es ist mit Worten so wenig zu beschreiben wie der Potala oder die Wärme, welche die Tibeter verströmen. Mit Wehmut verlassen wir das Herz des Himalaya und steuern Nepal an.
Rote Vespas vor dem Potala in Lhasa, der Hauptstadt Tibets. Eines der großen Ziele unserer Reise ist erreicht!
Aufwachen nach unserer ersten Nacht in Tibet. Das Guesthouse in 4.800 Metern hat keine Heizung und kein Warmwasser. Im Zimmer erleben wir flotte sechs Grad. Aber immerhin plus. Draußen wär’s unangenehmer: Minus neun Grad.
Schweißen auf hohem Niveau. In Amdo flicken wir unseren gebrochenen Anhänger wieder zusammen. Und zwar so, daß er jetzt ewig hält. Mit Füllmaterial im Hohlrohr sowie aufgeschweißten Schienen links und rechts.
Unterwegs am Dach der Welt, irgendwo zwischen 4.600 und 5.000 Metern Seehöhe.
Am höchsten Punkt unserer Reise in 5.241 Metern. Die Vespas haben gekeucht – aber geschafft ist geschafft!
Die Weite am Dach der Welt begeistert. Sogar Ferdinand strahlt mit dem blauen Himmel um die Wette!
Der Kontakt mit den Menschen steht für uns ganz oben. Hier spricht uns in Lhasa ein Brautpaar an – wir plaudern drei Stunden mit diesen herzlichen und offenen Menschen.
Plausch in einer Teeküche. Es scheint zwar die Sonne, aber es hat um die Null Grad.
Liebe Frau Supper, ich lese immer wieder Ihre Berichte und bewundere Sie sehr! Ich wünsche Ihnen und Ihren Begleitern alles Gute, hoffentlich weiterhin Gesundheit und kommen sie gut an Ihrem Ziel an!
Liebe Grüße
Edeltraud Nechtelberger
Liebe Frau Nechtelberger! Das ist ganz, ganz lieb und aufmerksam von Ihnen! Da freuen wir uns alle sehr. Und ich kann Ihnen gerne weitere Berichte versprechen 😉
Lieben Gruß an die ganze Familie aus Indien!
Ihre Claudia Supper